Donnerstag, 16. Februar 2012

Mit Medikamenten zur Leistung!



Jeder zehnte Junge wird heute in der Schweiz wegen eines Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätssyndroms (ADHS) behandelt. Die Zahlen zeigen, dass auch in der Schweiz bei Jungen die Diagnose ADHS häufiger gestellt wird als bei Mädchen. Um diese Kinder angepasster und leistungsfähiger zu machen, wird ihnen häufig der Wirkstoff Methylphenidat (MPH) verschrieben, der zum Beispiel in dem Medikament Ritalin enthalten ist. „Wir dürfen unsere Kinder nicht mit Medikamenten zur Leistung treiben“, appellieren Fachleute. „Kinder und Jugendliche stehen heute unter Leistungs-, Erwartungs- und Erfolgsdruck. ADHS wird hier oft als Erklärung für Schulversagen oder Schadensbegrenzung herangezogen.“ Es könne aber nicht sein, dass jemand, der den Erwartungen nicht entspricht mit Medikamenten passgenauer gemacht werden soll. „Erzieherische Leistungen, Zuneigung und Fürsorge können nicht durch Medikamente ersetzt werden“, betonen ADHS Experten

Es sei das eine, Kinder und Jugendliche auf die Ansprüche der heutigen Gesellschaft vorzubereiten. „Es ist jedoch etwas anderes, wenn Kinder und Jugendliche zur Erfüllung dieser an sie gestellten Ansprüche Medikamente nutzen müssen“, unterstrichen ADHS Fachpersonen und halten diese Entwicklung  für  höchst bedenklich. Zudem  sei es zu befürchten, dass zahlreiche ADHS-Diagnosen voreilig gestellt würden. „Hier sollte jedoch sorgsam und verantwortungsvoll vorgegangen werden“,

Ein Krankheitsbild wie ADHS müsse ernstgenommen werden, sagen ADHS Experten. Es müsse jedoch sichergestellt sein, dass bei der Behandlung von ADHS der Stand der medizinischen Wissenschaft eingehalten wird. „Die Diagnose kann nicht als Ausrede genutzt werden und ein Medikament wie Ritalin nicht als Wundermittel für die Erfüllung von Erwartungen“, betonen ADHS Experten. „Medikamente ja – aber nur wenn sie wirklich und unbedingt notwendig sind. Wir können unsere Kinder und Jugendlichen nicht auf ein Medikament einstellen, nur damit sie dem Erwartungsdruck gerecht werden.“ Zudem können die Nebenwirkungen des Wirkstoffes MPH vielfältig sein: Schlafstörungen, Essstörungen, Bluthochdruck oder vermindertes Wachstum.

Freitag, 20. Januar 2012

ADHS ist häufiger bei Knaben den Mädchen



Knaben sind häufiger betroffen als Mädchen.  Nach einer Ende 2011 veröffentlichten Studie aus  Bayern zeigen bei der Einschulung 13% der Knaben und nur 8% der Mädchen Symptome von Konzentrationsstörungen und  oder motorischer Hyperaktivität. Ab der vierten Klasse sind 18,8% der Knaben und 9,6% der Mädchen betroffen.

Sind alle diese Schüler krank? Welche unter ihnen benötigen Unterstützung? Und welche Therapien und Förderung brauchen sie wirklich? Wie geht unsere Gesellschaft mit ADHS als Symptom um?

Das Thema Medikament wird heiss diskutiert:
Wenn Schüler mit Medikamenten behandelt werden, um ihr Verhalten zu beeinflussen, wird man in der Gesellschaft hellhörig. Obwohl  ADHS als eine international am besten untersuchte Störung bei Kindern gilt,  und mit weit über 6.000 publizierten Studien auch sehr breit analysiert wird, sind die Diskussion oft ideologisch und emotional .
ADHS gilt mittlerweile als reale Krankheit und die Existenz von ADHS ist längst nicht mehr umstritten. Im Volksmund wird das Problem durch die Bezeichnung ‚Zappelphilipp’ sehr verniedlicht. Durch den Kinderbuchklassiker ist allen bekannt dass die betroffenen Kinder oft aufgedreht sind, einen fast aggressiven Bewegungsdrang entwickeln, aufbrausend sind, sehr leicht ausrasten und mit ihren unvermittelten Wutausbrüchen Eltern, Spielkameraden und Lehrer zur Weißglut bringen können. Wiederum andere ADHS Kinder können sich nicht konzentrieren, scheinen nicht zuhören zu können, sind leicht ablenkbar, vergessen viel. Die Familien sind verzweifelt und die Schule kapituliert vor der Herausforderung.

Auf einem Symposium  in München suchten ausgewiesene Experten die Antwort auf wichtige Fragen:
Sind Eltern und Lehrer im Umgang mit ADHS überfordert?
Wie können Fehldiagnosen und falsche Behandlungen vermieden werden?
Wie können Ärzte wirksam behandeln, und wann ist die Unterstützung durch Psychologen ratsam?

Renommierte Fachpersonen weisen den häufig erhobenen Vorwurf zurück, dass nicht das Kind das Problem sei, sondern die Industriegesellschaft, die keine unruhigen Kinder dulde und dass nur deshalb die Kinder auf eine von Erwachsenen vorgeschriebene Norm gedrillt werden sollen. Sie betonen: Kinder mit ADHS gibt es nicht nur in reichen Ländern, sondern auch in Uganda und China, in Südafrika, Puerto Rico oder Mexiko.

Beginn schon im Kindergarten
Das größte Problem liegt in der gestörten Konzentrationsfähigkeit mit Beginn schon im Kindergarten: Das Kind wechselt die Spiele , weiß oft nicht, was es machen soll und hat dann schlechte Laune. Das Zusammenspiel mit anderen ist oft gestört, weil das Kind die Spielregeln nicht einhält, es ist ungestüm  und wird schon bald von anderen Kindern als Spielpartner gemieden.

Chancengleichheit für ADHS Kinder
Fachkreise unterstreichen jedoch: „Es geht nicht darum, die Jugendlichen brav zu machen, sondern darum, ihre Chancen zu ihrer persönlichen Entwicklung zu erhalten. Die Kinder haben ein Recht auf eine Sonderbehandlung, die ihnen eine ungestörte Entwicklung ermöglicht. Wird ihnen nicht geholfen, droht das Versagen in der Schule, die Einweisung in eine Sonderschule oder die Entwicklung sozial unangepassten Verhaltens“.

Dies bedeutet das Jugendliche mit einem diagnostizierten ADHS bis  zu 60 Prozent seltener eine Matura machen als unbelastete Kinder. Das sei ungerecht, wird von verschiedenen Fachpersonen bestätigt: „Darf man ihnen den Weg zur Matura verwehren, ihnen also eine Ausbildung zumuten, die ihren Fähigkeiten nicht angemessen ist, nur weil dies für alle beteiligten mehr Aufwand bedeutet? Die Verantwortlichen (Eltern und Lehrer) müssen nicht nur abwägen, ob das beim individuellen Schüler  vertretbar ist, sondern die Gesellschaft muss einen Konsens zu der Frage finden, ob wir es uns ökonomisch leisten können, auf die optimale Ausbildung Begabter mit Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen zu verzichten“.

Der Leidensweg dauert oft Jahre
Jugendliche  mit ADHS sind in allen Aspekten des täglichen Lebens signifikant benachteiligt. Sie haben Probleme in der Familie und Schwierigkeiten im sozialen Bereich. In der Schule haben sie mehr Abwesenheiten als ihre Mitschüler, jeder vierte ADHS-Jugendliche zählt zu den Schlusslichtern  seiner Klasse. Auch die Suche nach fachlicher Hilfe ist mühevoll: Die Eltern brauchen im Durchschnitt mehrere Jahre, bis sie eine endgültige Diagnose haben.
Nach aktuellen Angaben haben insgesamt  4,8% aller 3- bis 17-Jährigen eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, Jungen mit 7,9% wesentlich häufiger als Mädchen (1,8 %). Der große Unterschied zwischen den Knaben und Mädchen besteht in allen Altersgruppen.

Es ist nicht leicht, für das einzelne Kind mit einem ADHS die optimale Behandlung zu finden. Es empfiehlt sich eine "multimodale" Therapie, d.h. eine Behandlung mit verschiedenen Bausteinen, bei der die Unterstützung für das Kind und die Eltern im Vordergrund stehen. Die Kinder mit ADHS benötigen eine konsequente Erziehung und eine verständnisvolle Unterstützung von Eltern und Lehrern. Hilfreich ist eine wohnortnahe kontinuierliche, auch kurzfristig zugängliche Unterstützung von Kind und Familie. Dies gewährleistet die Möglichkeiten der pragmatischen und lösungsorientierten Massnahmen, wie gesunde Ernährung und zuckerarme Getränke. Im Weiteren kann durch regelmässige Einnahme von Omega 3 Fettsäuren die Ernährung optimiert werden. Als längerfristige Verbesserung bietet sich eine Neurofeedbacktherapie an. Damit erreichen Sie nicht die sofortige Wirkung wie mit Medikamenten, sondern begehen einen langwierigen Weg mit „Ups“ und „Downs“. Die ADHS-Fachleute sind sich einig, dass eine ausschließlich medikamentöse Behandlung von ADHS ungenügend ist. Notwendig sind vielmehr ganzheitliche Lösungsansätze, die je nach Situation des Kindes die geeigneten Maßnahmen umfassen.  Die Erfolg versprechende medikamentöse Therapie darf aber nicht länger nur  verteufelt werden. Trotz allem sollten sich Eltern die Option mit Medikamenten offenhalten und nicht dogmatisch ablehnen. Als letzte Massnahme wenn sie keinen Ausweg mehr sehen kann dies die Lösung sein oder zumindest die Überbrückung von sehr schwierigen Zeiten.

Wichtig zu Wissen
Neu sind die Erkenntnisse zur erblichen Belastung von ADHS in der Familie. Jedes dritten Kindes mit ADHS weist zumindest ein Elternteil mit entsprechenden Symptome auf. Unter eineiigen Zwillingen sind wesentlich häufiger beide Kinder betroffen als bei zweieiigen. Dieser Zusammenhang wird in einer neuen Studie bei ADHS-Kindern und ihren ebenfalls davon betroffenen Müttern an der Universität Würzburg erforscht. Eine weitere aktuelle Studie an der Universität Mainz erforscht den Zusammenhang zwischen Omega-Fettsäuren und ADHS.